Unser Pilotprojekt: Begleitung von Müttern und Kindern in peripartalen* Krisen (Bestandteil von Meliso +Plus).

* Unter peripartal versteht man den Zeitraum von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und erster Lebenszeit des Neugeborenen
 

Mit der Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes werden Menschen zu Eltern. Diese sensible Übergangszeit, die vielschichtige innere und äussere Anpassungen erfordert, bedeutet für manche Familien eine emotionale Krise. Eingespielte Abläufe und Normen werden ausser Kraft gesetzt, habituelle Bewältigungsstrategien greifen nicht mehr ausreichend, es kommt zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverhältnisses. Das Pilotprojekt «Peripartale Krisenbegleitung» von Meliso hat zum Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem Mütter mit ihren (ungeborenen) Kindern einen Weg zurück in ihre Selbstwirksamkeit finden.

Mit flexiblen Unterstützungsmöglichkeiten und einem interdisziplinären Fachteam wollen wir Mutter, Vater und Kind durch die Krise begleiten – damit sie sich allmählich wieder als gestaltend und handelnd erleben.
 

Das zukünftige Angebot trägt aktuell den Projekt- und Angebotstitel «Meliso – Peripartale Krisenbegleitung».
 

Ein sicherer Ort, wenn die (Lebens-)Welt ins Wanken gerät

Krisen im Übergang zur Elternschaft sind keine Seltenheit. Studien zeigen, dass circa jede sechste Mutter in der Peripartalzeit auf emotionale Unterstützung angewiesen ist. «Die heutigen Eltern sind sehr verunsichert», lesen wir im kürzlich erschienenen Buch des renommierten Entwicklungspädiaters Oskar Jenni. Das Buch* thematisiert die Überforderung von Eltern in der heutigen Gesellschaft. «Wir leben in einer Zeit grosser Unruhe», erklärt Jenni weiter. Diese äusseren Nöte beeinflussen das innere Erleben der Menschen und in besonderem Masse junge Eltern, die für ein neugeborenes Kind Verantwortung tragen. Nicht überraschend kann es daher bereits in den frühen Phasen der Elternschaft zu Verunsicherungen und einem Verlust an innerem Halt und Orientierung kommen.
 

Im Kanton Bern gibt es kaum Angebote zur Unterstützung für Mütter mit ihren Kindern, wenn deren Lebenswelt ins Wanken gerät. Sozialpädagogische Einrichtungen bieten oft keine interdisziplinäre Betreuung, in Psychiatrien fehlen Entlastungsmöglichkeiten (passagere Kinderbetreuung) und Begegnungen mit anderen betroffenen Müttern. Meliso setzt hier an. Wir nehmen die zunehmende Verunsicherung werdender Familien ernst und schaffen einen Ort, an dem Mütter und ihre Kinder in der Krise interprofessionell (sozialpädagogisch und psychotherapeutisch) begleitet werden. Damit schliessen wir eine Lücke in der kantonalen Gesundheitsversorgung.

* «Kindheit – eine Beruhigung.» Oskar Jenni (Hrsg).
Im Zürcher Verlag «Kein & Aber» erschienen im Jahr 2024.
 

Krisen in der Peripartalzeit betreffen immer ein ganzes Familiensystem. Obwohl sich die Angebote hauptsächlich an Mütter und ihre Kinder richten, beziehen wir auch den anderen Elternteil bewusst in die Begleitung ein.

Krise: so individuell wie die Menschen selbst

So einzigartig die Lebenswelt eines Menschen ist, so unterschiedlich wird eine Krise erlebt. Um der Individualität von Mutter und Kind gerecht zu werden, umfasst das Angebot sowohl ambulante als auch teilstationäre (tagesklinische) und stationäre Unterstützungsangebote, die flexibel kombiniert werden können. Ein interdisziplinäres Team, zusammengesetzt aus den Fächern Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialpädagogik und Geburtshilfe, berät und begleitet Mutter und Kind, sodass sie aus sich heraus neue Kraft fürs Weiterleben schöpfen können. Dabei erachten wir die frühe Bindung zwischen Mutter und Kind als dynamische Dyade, die sich in Wechselwirkung entwickelt: Erlebt sich die Mutter als handlungsfähig und gestaltend, kann sie ihr Kind mit sensitiver Fürsorge begleiten.  
 

Zu den zentralen Bausteinen der Fachbegleitung zählen psychotherapeutische (wenn nötig auch psychiatrische) Einzelangebote, videogestützte Interaktionstherapie, Sozialberatungen und gruppentherapeutische Angebote.
 

Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass Unterstützung in Krisen nicht an finanziellen oder organisatorischen Hürden scheitern darf. Deshalb schaffen wir ein Angebot, das jeder Familie offen steht. Darüber hinaus will Meliso ein Netzwerk mit wesentlichen Partnerorganisationen aufbauen und pflegen.
 

Menschenmedizin – oder woran wir uns orientieren

Unser Projekt basiert auf den Grundsätzen der «Menschenmedizin», einer Haltung, die den Menschen als untrennbare Einheit von Körper, Seele und Geist begreift. Daraus ergibt sich die grundlegende Perspektive, dass Gesundheit und Krankheit keine starren Gegensätze sind, sondern ein Kontinuum bilden. Ein Mensch ist nicht einfach gesund oder krank – vielmehr bewegt er sich stetig zwischen diesen Zuständen. Diagnosen – sowohl somatisch als auch psychiatrisch – sind kategorial; man hat sie oder hat sie nicht. Gerade aber im Bereich der Emotionalität vermag eine kategorische Einteilung die Vielschichtigkeit des Erlebens nicht abzubilden. Was für den einen Menschen als intensive Traurigkeit empfunden wird, kann für einen anderen Menschen eine milde Melancholie sein. Zudem sind Diagnosen immer kulturell und sozial geprägt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass kulturelle und gesellschaftliche Normativitätsvorstellungen eben auch das individuelle Erleben beeinflussen. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, beziehen wir nicht-medizinische Disziplinen in unsere Arbeit ein – darunter Fachpersonen aus den Bereichen Kunst, Philosophie, Soziologie und Theologie. Dieser interdisziplinäre Ansatz ermöglicht eine ganzheitliche Sichtweise auf Lebenskrisen. In Supervisionen, interdisziplinären Rapporten und Weiterbildungen reflektieren wir gemeinsam soziokulturelle Einflüsse, individuelle Lebensgeschichten und subjektive Werte, um den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen.
 

Indem wir Begrifflichkeiten und gesellschaftliche Praxen achtsam hinterfragen, möchten wir auch der Stigmatisierung peripartaler Krisen entgegenwirken. Denn: Es ist bekannt, dass viele Mütter aufgrund ausgeprägter Schuld- und Schamgefühle auf frühzeitige Unterstützungsangebote verzichten; was längerfristig zu noch mehr seelischer Not führt.

Trotz struktureller Hürden: Die Finanzierung unseres Pilotprojekts soll durch kantonale Fördermittel, Versicherungsleistungen und Spendengelder gesichert werden. Diese mehrgleisige Strategie ermöglicht es, die Unterstützung langfristig zu sichern und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wir erachten es als strukturellen Missstand, dass integrative Angebote, die Sozialpädagogik und Psychotherapie verbinden, bisher nicht einheitlich finanziert werden. Stattdessen sind wir gezwungen, mit verschiedenen Ämtern individuelle Finanzierungsmodelle auszuhandeln, um die Kosten für die einzelnen Leistungen zu decken. Darüber hinaus wird die Mutter-Kind-Dyade in den finanziellen Leistungen nicht berücksichtigt, zumal sich für die Betreuungskosten des Kindes kein Amt zuständig fühlt. Wir lassen uns von diesen strukturellen Einschränkungen nicht beirren und sind bestrebt, ein nachhaltiges Finanzierungsmodell zu erarbeiten, das dem Wohl der Familie dient.

Von der Idee zur Umsetzung

Der Start der peripartalen Krisenbegleitung ist für Februar 2026 geplant. Die zweijährige Pilotphase bis Februar 2028 wird fortlaufend evaluiert, um die Zielerreichung und Sinnhaftigkeit des Projekts zu überprüfen. Unser zentrales Anliegen ist es, Familien im Übergang zur Elternschaft in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Wie uns diese Zielerreichung mit dem bestehenden Konzept gelingt, können wir nur durch die praktische Anwendung herausfinden. Mit einer Haltung der inneren Offenheit setzen wir uns dafür ein, unser Angebot kontinuierlich weiterzuentwickeln und auszubauen – immer im Einklang mit dem leitenden Grundsatz von Meliso: Eltern und Kinder stärken. Aus eigener Kraft, aber nicht allein.



Weitere Stimmen und Statements uns nahestehender Fachpersonen melden sich im Anschluss gerne zu Wort.

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Prof. Dr. med. Daniela Hubl

Chefärztin UPD, Stv. Klinikdirektorin FPP a.i. sowie Lehrkoordinatorin UPD

«Im Kanton Bern fehlt es derzeit an spezialisierten Angeboten für Mütter und ihre Kinder in peripartalen psychischen Krisen. Aus meiner Erfahrung als Chefärztin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UPD AG Bern weiß ich, wie gross der Bedarf an interdisziplinärer und individuell abgestimmter Unterstützung ist. Die Initiative von Meliso ist ein entscheidender Schritt, um diese Versorgungslücke zu schließen und betroffenen Familien die notwendige Begleitung zu ermöglichen

Das Projekt wird finanziell unterstützt dank: